J-acopo

Jacopo war schon hier, hier in der Nähe von Annaburg im ernestinischen Sachsen, jetzt Sachsen-Anhalt. Jacopo de‘ Barbieri der Erfinder des weltberühmten Vogelschauplans von Venedig, war bereits vor über 500 Jahren hier, als Hofkünstler Kurfürst Friedrich des Weisen, dessen 500. Todestag sich eben hier 2025 jährt. Annaburg = Lochau. Siehe N-ews!!!

Ausstellung in Annaburg – Porzellaneum

Wie Jacopo de‘ Barbari nach Lochau kam oder vom Jagdschloss zum Iron Dome

Jacopo war lange vor mir hier in Lochau und zwar bereits 1503. Annaburg hieß damals Lochau und liegt 100 km südlich von Berlin.

Ich kam erst 2020 nach Annaburg und war nach dem Kauf eines Ferienhauses geradezu elektrisiert, als ich erfuhr, dass sich mit Jacopo de’ Barbari, der Künstler des berühmten Vogelschauplans von Venedig hier aufgehalten hatte. Und zwar nur 8 km von meinem neuen Domizil entfernt. Bereits seit einigen Jahren hatte ich mich intensiv mit dessen einzigartiger Stadtisometrie Venedigs beschäftigt und diese vor Ort fotografisch abgeglichen. Und dann dieser Sprung Jacopos von Venedig an die Elbe an einen gänzlich unvermuteten Aufenthaltsort zwischen Wittenberg und Torgau in Sachsen-Anhalt, heute in unmittelbarer Nähe zu Brandenburg und Sachsen gelegen.

Also eile ich die 8 km zu Fuß nach Annaburg, immer entlang an dem Militärschutzgebiet der Annaburger Heide, welches früher ein sehr wildreiches Jagdgebiet des Kurfürsten Friedrich des Weisen war. Bei diesem hatte sich Jacopo 1502 in Nürnberg beworben und dieser hatte ihn als Hofkünstler angestellt. In seiner Funktion hielt er sich in Wittenberg mit der eben neu gegründeten Universität und auf dem Jagdschloss Lochau für knapp 2 Jahre auf.

In seiner Zeit in Lochau entstand sein berühmtes Stillleben mit Rebhuhn und Eisenhandschuhen als erstes eigenständiges Stillleben seit der Antike. Und welch passendes Zeugnis gibt dieses Bild für das Jagdschloss Friedrich des Weisen ab, welches als für die Frührenaissance einmalig nördlich der Alpen gerühmt wurde. Dass damit das Genre des eigenständigen Stilllebens beginnt ist unstrittig. Aber wurde genau hier in Lochau das Genre des Stilllebens begründet? Das Motiv erscheint geradezu emblematisch für den damaligen Ort mit  Jagdgesellschaften und wilden Tieren. Die Episode des Jacopo de’ Barbari in einem Tiergehege in Nürnberg mag auch eine Rolle gespielt haben, als dieser 1502 in einer Art Arbeitsunfall (angestellt bei dem späteren Kaiser Maximilian I.) von einem Hirsch schwer verletzt wurde.

Das Stillleben als mögliches Momento Mori.

Anfang 2025 lese ich in der aktuellen ‚Sinn und Form‘ die fulminante Bildbeschreibung von Susanne Röckel in ‚Die Erniedrigung des Rebhuhns‘. Nachdenklich sinne ich darüber nach, was die Kombination Rebhuhn und Eisenhandschuhe bedeuten mag. Zur Jagd hat man wohl eher Lederhandschuhe als solche aus Eisen getragen. Und Eisenhandschuhe passen auch eher zum Kriegshandwerk allenfalls zum Einüben kriegerischer Fähigkeiten bei Turnieren. Es liegt ein nicht entschlüsselbarer Widerspruch in der Bildmotivik ‚Rebhuhn und Eisenhandschuhe‘. Das Rebhuhn, das schlecht fliegt und daher leichte Beute ist, zum Niederwild gehörend, kein herrschaftliches Tier darstellt; die Eisenhandschuhe als Symbol von Krieg und roher Gewalt. Gleichzeitig hat das Bild auch etwas anheimelndes, da es sich nicht draußen, sondern innen in einer Stube oder Küchenkammer abspielt.

Das Jagdschloss mit Tiergehege, Wildpark, Fischteich und Lustpavillons bot dem sächsischen Hof genug Abwechslung für Jagd und Erholung von den anstrengenden Staatsgeschäften. Gleichzeitig war die Jagd auch Grundlage, um den Hofstand mit mehreren Hundert Personen zu versorgen. Friedrich der Weise hatte bereits bei seinem ersten Reichstagbesuch für Aufsehen gesorgt, als bei einem Fürstenessen bis zu 16 verschiedene Gerichte aufgetischt wurden. Das gute Essen war auch für de’ Barbari von größter Bedeutung. Neben seiner überdurchschnittlichen Entlohnung wurde er von der Hofküche verköstigt und konnte mit den umfangreichen Weinlieferungen auch seine Humanisten-Freunde von der Universität in Wittenberg versorgen und sich mit diesen bei einigen Flaschen Wein zum Lunch und geselligen Gespräch, wie in den Küchen-Ausgabebüchern detailliert dokumentiert,  treffen.
Nach 2 Stunden Wanderung In Annaburg angekommen, muss ich feststellen, dass Jacopo bereits 1505 aus Angst vor der Pest nach Berlin zu dem Kurfürsten Joachim I. weitergezogen war. In der Gemäldegalerie Berlin zeugen unter anderem die beiden Gemälde ‚Bildnis eines Deutschen‘ und ‚Nacktes Liebespaar‘ von Barbaris Aufenthalt. Gerade das ‚Nackte Liebespaar‘ besticht in seiner besonderen Art der Darstellung, die geradezu modern anmutet.

Ich wende mich nun an die Stadtführerin Karin Reihs aus Annaburg. Wir stehen zusammen im Frühherbst auf einer großen Rasenfläche zwischen dem Nachfolgebau des Jagdschlosses, einem unterirdischen Gewölbekeller und der ehemaligen Militärwaisenschule von 1903. Ich lasse meinen Blick über die aufgelockerte Bebauung mit viel Grün bis hin zum Mauergraben schweifen. Karin Reihs deutet mit ausholender Bewegung auf die Umgebung: „Dort hinten war das Wolfsgehege, hinter dem Gewölbekeller war der Weinberg, dort vorne die Park- und Gartenflächen mit Pavillons und Teichen.“ Und mit einem Mal wird diese aufgelockerte Bebauung verständlich. Es ist zwar nur noch wenig Historisches vorhanden, aber die Struktur ist durch Hecken, Wassergraben und Anlage der Gebäude geschichtlich vorgeprägt. „Und dort hinten war der große Wildpark und hier, wo wir stehen war ein Hirschgehege. Es gab ein Lieblingstier Friedrich des Weißen, das war ein weißer Hirsch, der zur Brunft in den Wildpark gelassen wurde und jedes Mal wieder zurückkam. Nach dem Tod des Kurfürsten 1525 kam er aber nicht mehr zurück“. Soweit die Sage.

Wie Jacopo de’ Barbari ein Mittler venezianischer Malkunst für die vorreformatorische Kultur Süddeutschlands wurde, so verkörpert die Person Friedrich der Weise signifikant den Übergang aus dem Mittelalter in die Reformation hinein.

Als tiefgläubiger Katholik und Pilger ins Heilige Land legte er eine der größten Reliquiensammlung seiner Zeit an und förderte auch den Ablasshandel, um zum Beispiel die Elbbrücke nach Torgau zu finanzieren. Gleichzeitig gründete er die Universität in Wittenberg mit deutlich humanistischem Hintergrund, berief den späteren Mentor Luthers, Johann von Staupitz als ersten Rektor und unterstützte Luther, wie allgemein bekannt, über alle Maße, obwohl dieser gegen den von Friedrich praktizierenden Ablasshandel und dessen Reliquienanbetung auftrat.

Der Nachfolger von de’ Barbari wurde Lucas Cranach der Ältere, im Gegensatz zu Barbari ein Vielmaler mit einer gut organisierten Werkstatt im Hintergrund. Wohl unerschrockener als Barbari angesichts wilder Hirschjagden, musste er den Kurfürsten bei der Jagd begleiten, um diesen auf verschiedenen Jagdszenen skizzenhaft festzuhalten. So sind bei den dargestellten Jagden Cranachs sowohl die nähere Umgebung mit Schlössern, Flüssen und Waldgebiet als auch die Art der Jagd mit Armbrust aus der Deckung eines Gebüschs oder vom Boot aus, als auch die verzweifelt einen Fluss durchquerenden Hirsche zu sehen, als auch der Kurfürst mit seinem ikonischen Kopf sowie die prächtig gekleidete Jagdgesellschaft mit Damen in einem Boot, ausladende Hüte tragend, sowie männliche Prominenz wie dem späteren Kaiser Karl V. In der Ferne ist hin und wieder Schloss Hartenfels in Torgau oder das Jagdschloss in Lochau. Die Cranachsche Werkstatt hatte eine Vielzahl von Portraitvorlagen des Kurfürsten und weiterer Prominenter, die in jede Art von Bild, sei es als Altarbild, Souvenir oder Geschenk gedacht, hineingemalt, -collagiert werden konnte, so dass die Motivik nicht immer einem realen Anlass entsprechen musste, sondern auch als Huldigung wie zum Beispiel für Karl V. gedacht war. Viele der Bilder wurden in unterschiedlicher Qualität zu Hunderten gemalt und verschenkt. Sehr authentisch erscheint jedoch die Darstellung Friedrich des Weisen bei der Jagd in der Lochauer Heide, auch wenn dieses Motiv erst nach dem Tod des Kurfürsten als Memorandum gemalt wurde.

Auf meinem Weg nach Annaburg war mir nur ein wütendes Wildschwein begegnet, welches verzweifelt versuchte, am örtlichen Fußballplatz durch den Stahldraht des Maschenzauns durchzubrechen. Erst nach wiederholten Malen ließ es von seinem Versuch Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand ab.

Hier in Lochau begegneten sich Protagonisten mit den gleichen, ihr Leben bestimmenden Orts-Achsen mit den Städten Wittenberg-Nürnberg-Innsbruck-Venedig und Wittenberg-Mechelen.

Die Protagonisten sind Friedrich der Weise, Jacopo de’ Barbari und Cranach der Ältere, sowie mit Einschränkung Albrecht Dürer, der wohl nie in Wittenberg gewesen war. Das gilt auch für den späteren Kaiser Maximilian I., zu dem, als fast gleichaltriger junger Fürst, Friedrich ein besonderes Verhältnis hatte. Er war als Vertreter Maximilians I. an seinem Hof in Mechelen und Innsbruck präsent. Während Friedrich seine Macht regional mit Universitätsgründung und Unterstützung der Reformation schuf, welche langfristig in Nordeuropa zu mehr Bildung und Wohlstand führte, begründete der Habsburger Maximilian die Weltmacht der Habsburger, die weltweit mit Eroberungen und arrangierten Heiraten agierte und die erfolgreichen Gebietsgewinne von Südeuropa bis Südamerika mit Kastellen militärisch absicherte.

Das besondere Verhältnis de’ Barbaris zu Cranach wie auch zu Dürer lässt sich an der gegenseitigen motivischen und kunsttechnischen Beeinflussung ablesen. Diese Wechselwirkung wird zusätzlich mit den Anmerkungen Dürers höchst originell kommentiert.
Am 07. Februar 1506 schreibt Dürer an Pirckheimer über de’ Barbari:

(…) Awch las jch ewch wissen, daz vill pesser moler hŸ sind weder dawssen meister Jacob jst. Aber Anthoni Kolb schwer ein eŸt, es lebte keim pessrer moler awff erden den Jacob. Dy andern spotten sein, sprechen: wer er gut, so belib er hŸ etc. (…).

Dürer gibt also kein eigenes Urteil ab, sondern schildert nur die Bemerkungen der Zeitgenossen, besonders die Anthoni Kolbs, dem Drucker des Vogelschauplans Barbaris.
Noch detaillierter sind die Aussagen Dürers zur Proportionslehre, in der er über Barbari ausführt:
„… Der zeigte mir Mann und Frau, die er mithilfe der Proportion gefertigt hatte. Und zu diesem Zeitpunkt war mir seine Kenntnis wichtiger als ein neues Königreich …“ Dürer schreibt dann zwar weiter, daß Barbari ihm die Proportionslehre nicht erklären wollte oder konnte, dass es für ihn, Dürer aber Antrieb war sich damit zu beschäftigen, welche in den ‚Vier Büchern von menschlicher Proportion‘ mündete.
Ausführlicher ist dies in Beate Böckems Biografie zu Jacopo de‘ Barbari Künstlerschaft und Hofkultur um 1500 ausgeführt.

Kurz vor Weihnachten 2024 fahre ich zur Ausstellung ‚Frührenaissance‘ nach Halle/S. im Museum Moritzburg. Der Kurator Philipp Jahn empfängt eine kleine Gruppe Besucher zu dem Thema Jacopo de Barbieri. Aus der Vielzahl der Exponate schält sich in seinem Vortrag nach und nach die damalige Bedeutung de‘ Barbaris als Mittler der italienischen Renaissance heraus. Seine Bilder und Grafiken sind geschickt in das Gesamtbild der Ausstellung integriert und tauchen so an verschiedenen Stellen auf, oft in einem Nebeneinander mit Albrecht Dürers Werke. Dies unterstreicht seine Einflussnahme auf die damalige Kunstszene.

Die Subtilität im Ausdruck, so verstehe ich es jedenfalls, zeigt de’ Barbari als einen Einzelgänger, der weder mit der Universalität Dürers noch mit dem Werkstattprozess eines Cranachs mithalten konnte, aber immer wieder seine einzigartigen Bilderfindungen hervorbrachte. Seinem Werk ist mitunter eine Modernität mit einem zögernden Suchen nach etwas Neuem immanent und führt zuweilen gestalterisch in eine Vorwegnahme manieristischer Formen und Verdrehungen. Mir kommen als gegenwärtige Bezugspersonen frühe Zeichnungen Paul Klees und Werner Tübkes in den Sinn, die ebenfalls diese verdreht, versponnenen Körperformen aufweisen.
In der Ausstellung findet sich auch als eine Besonderheit die aus Gotha entliehene Bildtafel, die den knieenden Kurfürsten als Pilger im Heiligen Land zeigt. Wie Thomas Lang in seinem Essay ‚Der reisende Kurfürst Friedrich der Weise. Von Jaffa nach Wittenberg‘ ausführte, reiste er zur Sicherheit seiner Person und um die Kosten der Schiffspassage von Venedig nach Haifa niedrig zu halte, inkognito. Die Kosten beliefen sich dennoch auf die Hälfte der Landeseinnahmen des ernestinischen Sachsens.

Während meiner Recherchen stelle ich wiederum fest, dass de’ Barbari Berlin bereits wieder verlassen hatte und weiter an den Gelehrtenhof der Statthalterin Margarete von Österreich nach Mechelen gezogen war.

1520 brach auch Dürer zu seiner Niederländischen Reise auf und fragte bei Margarete von Österreich nach dem Skizzenbuch des bereits verstorbenen Jacopo nach. Allerdings vergeblich, da dieses bereits an seinen Nachfolger weitergegeben war. Es zeigt aber die langanhaltende Wertschätzung und Erinnerung Dürers für de‘ Barbari.
Margarete als einzige Tochter Maximilians I, war auch für Friedrich den Weisen bedeutsam. Zweimal wurde er als Heiratskandidat für eine Vermählung mit ihr erwogen. Doch diese Pläne realisierten sich nicht und so blieb Lochau nur ein Jagschloss und wurde nicht zum Musenhof.
Friedrich war als geborener Torgauer gegenüber seiner Heimat sehr bodenständig. Seine sächsische Heimat schilderte Friedrich der Weise laut seinem Biographen Spalatin, „er hätt viel Fürstenthum und Lande gesehen, aber nie keins, das er für seines Bruders und sein Fürstenthum Land nehmen wollt.“

1525 mag ihm bewusst sein, dass diese Tage seine letzten waren, jedenfalls hielt er sich die letzten Tage hier auf.

In diesem, seinem heiß geliebten Jagdschloss ist er dann am 5. Mai 1525 gestorben.

Vom Schloss fällt mein Blick auf den mit Bäumen bestandenen lang gestreckten Markt. Rechter Hand befindet sich das Amtshaus in einem barocken Fachwerkhaus. Hier erläutert mir der Leiter des Stadtmuseums Michael Donath die Vorbereitungen zum 500. Todestag des Kurfürsten am 05. Mai 2025 in Annaburg. Eine Erzählung ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Bei einem Modell einer kleinen Häusergruppe mitten im Wald bleiben wir stehen. „Hier wohnte vor 1945 mein Großvater, der als Kind die 5 bis 6 km zur Schule täglich zu Fuß auf zurücklegen musste, im Winter auf ungeräumten Wegen. Als die Rote Armee von Osten durch den Annaburger Forst vorrückte, wurden sie aus dieser Häusergruppe beschossen. Die Häuser wurden daher als Partisanenort zerstört und später übte die NVA an dieser Stelle den Straßenkampf in dem neu gegründeten Militärübungsgebiet Annaburger Heide“.
Diese Erzählung kommt mir wieder in den Sinn, als bekannt wird, dass auf dem im Annaburger Forst gelegenen Flugplatz Holzdorf das israelische Raketenabwehrsystem Arrow-3 stationiert werden soll, für das Deutschland bereits am 23. November 2023 einen Vertrag unterzeichnet hat. Mit zwei weiteren Standorten soll so ein „Iron-Dome“ für Berlin als Bundeshauptstadt geschaffen werden.

Mit ein wenig Sarkasmus könnte man die Wahl des Standorts mit dem Wirken Michael Stifels um 1533 im nahegelegenen Annaburg in Verbindung bringen. Stifel war ein reformatorischer Theologe und Mathematiker, der in Lochau tätig, für den 19. Oktober 1533 um 8 Uhr den Weltuntergang vorhersagte und dafür in Wittenberg inhaftiert wurde.
Mit Blick auf den Brunnen für Michael Stifel auf dem Annaburger Markt wende ich mich meinem Heimweg zu, der mich nach Prettin führt, wo in der mittelalterlichen Lichtenburg im Juni 1933 ein Konzentrationslager für Häftlinge aus Berlin und Umgebung eingerichtet wurde, welches für spätere KZs als Vorbild grausamer Vernichtungspolitik diente.

Doch das ist schon wieder eine andere und vielleicht die nächste Geschichte.